Quarks warnen auf Facebook vor den gesundheitlichen Folgen des zu langen Schlafens. Was ist davon zu halten?
Das ist hier ganz ähnlich wie mit den Risikofaktoren für Alzheimer, die wir gerade mehrfach hatten. An den Daten sieht man eine Korrelation: Menschen, die besonders lange ODER besonders kurz schlafen, haben ein erhöhtes Risiko für alle möglichen Sachen. Unter anderem für Diabetes. Die Frage ist wie immer: liegt diese Korrelation wirklich an einem kausalen Zusammenhang oder an irgend etwas anderem? Anders ausgedrückt: Wenn ich mein Schlafverhalten ändere, senke ich dann wirklich mein Diabetesrisiko?
Für die sehr kurz schlafenden Menschen ist das sehr wahrscheinlich der Fall. Wir können zb Menschen in einem Experiment wach halten und finden dann bestimmte Änderungen im Körper, zb erhöhte Insulintoleranz. Wir haben Diabetes ausreichend verstanden um zu wissen, dass das langfristig zu Diabetes führen müsste. Zur Korrelation kommt also ein plausibler und demonstrierbarer Mechanismus. Der letzte Beweis, der noch fehlt, ist, Menschen mit Schlafstörungen zu behandeln und einige Jahre bis Jahrzehnte später festzustellen, dass sie wirklich seltener Diabetes kriegen als die Kontrollgruppe. Aber die Beweislage ist schon sehr gut und rechtfertigt den Ratschlag: “schlafe nicht regelmäßig so wenig, dass du tagsüber noch müde bist, sonst erhöhst du dein Diabetesrisiko.”
Quarks und Co suggerieren hier aber einen anderen Ratschlag: “Schlafe nicht zu lange, sonst erhöhst du dein Diabetesrisiko.” Hierfür liegen meines Wissens nur die korrelativen Beobachtungen vor, sonst nichts. Ich bin persönlich sehr sensibel, wenn jemand ungerechtfertigte Gesundheitsratschläge verteilt. Das liegt daran, dass ich viel in Gruppen mitlese, wo Menschen sich gegenseitig den unsinnigsten Unsinn raten. Sie vergeuden oft unglaublich viel Zeit und Mühe mit Maßnahmen, die im besten Fall unnütz sind, im schlimmsten schädlich. Wenn man nachhakt, wo solche Ratschläge herkommen, findet man oft Quellen, die sachlich nicht falsch sind, aber zumindest irreführend. Forscher, die eine Hypothese so klingen lassen, als wäre sie erwiesenes Wissen. Oder Artikel, die mit der Absicht, eine catchy Überschrift zu finden, eine irreführende Aussage nahelegen, auch wenn formell keine falschen Aussagen vorkommen.
Wie ist es jetzt mit dem Ratschlag, bloß nicht zu viel zu schlafen? Ich denke, dass zumindest der fehlende Hinweis auf das viel besser belegt schädliche zu wenige Schlafen im gleichen Post drin sein sollte.
Aber wie valide ist der Ratschlag für sich genommen? Ich habe Quarks nach den Quellen gefragt und sie haben mir netterweise das Paper verlinkt, auf das sie sich beziehen. Hier die Zusammenfassung.
Die Autoren fassen die Datenlage zu langem Schlaf und Diabetes/Übergewicht zusammen und schlagen Hypothesen vor, wie es zu dieser Korrelation kommen könnte.
1) vielleicht ist der Schlaf bei diesen Leuten schlecht (flach, unterbrochen), und sie kompensieren das mit besonders langem Schlaf. Man sieht also lange Schlafdauer in der Korrelation, die Ursache für den Zusammenhang wäre aber der gleiche wie bei zu kurzem Schlaf – nicht ausreichend erholsamer, tiefer Schlaf.
2) Langschläfer sind einfach träge Leute. Deswegen machen sie auch zu wenig Sport. Die Ursache für das erhöhte Diabetesrisiko wäre dann der fehlende Sport, nicht der zu lange Schlaf.
3) sehr langer Schlaf korreliert mit ungesunder Ernährung. Dass die das Diabetesrisiko stark erhöht, wissen wir lange. Längerer Schlaf würde in diesem Fall Diabetes nicht ursächlich beeinflussen, sondern nur damit korrelieren, weil beide mit etwas anderem korrelieren, nämlich Ernährung.
4) Langschläfer sind meistens Abendtypen (Eulen). Wenn beides zusammenkommt, verpasst man morgens das Tageslicht, was dazu führen kann, dass der circadiane Rhythmus (innere Uhr) nicht optimal im Einklang mit dem Tag ist. Es sind Mechanismen vorgeschlagen worden, wie eine verstellte innere Uhr zu Übergewicht und Diabetes führen könnte.
5) Langer Schlaf könnte eine Reaktion des Körpers sein. Entweder auf beginnende Diabetes selbst oder auf eins der Probleme, die Diabetes fördern. In diesem Fall würde Schlaf der Krankheit entgegenwirken und sie nicht fördern. Das ist nach meiner Wahrnehmung die gängige Interpretation im Schlaffeld, warum langer Schlaf überhaupt mit Krankheiten korreliert, nicht nur mit Diabetes.
Bei all diesen Hypothesen fällt auf: Aus keiner folgt, dass es eine gute Idee wäre, weniger zu schlafen. Die Autoren legen eher nahe, dass Schlafqualität (und/oder Schlafenszeit) verbessert werden müsste. Wenn Hypothese 1) oder 5) stimmt, wäre es sogar schädlich, wenn Langschläfer sich einfach zu kürzerem Schlaf zwingen würden.
Natürlich ist das alles Spekulation. Solche Hypothesen werden aufgestellt, damit man zielstrebiger der Wahrheit auf die Spur kommt. Jetzt kann man nämlich eine nach der anderen testen und die falschen ausräumen. Es kann auch sein, dass die Wahrheit ein weiterer Punkt ist, den die Autoren (und ich) bisher übersehen haben, so dass lange schlafen ganz direkt und ursächlich eben doch ungesund ist.
Allerdings gibt es dafür bisher keinen Hinweis (ich kann bei Interesse noch mal darauf eingehen, warum das auch schwieriger experimentell zu testen ist als bei kurzem Schlaf). Deswegen finde ich es nicht gut, solche Gesundheitsratschläge herauszugeben. Man kann auf jeden Fall, wenn man ausreichend Schlaf empfiehlt, dazusagen, dass sehr viel Schlaf eben auch mit Krankheiten korreliert und man sich Schlaf nicht einfach als je-mehr-desto-besser vorstellen sollte. Ist ja bei Sport auch so. Aber der alleinstehende Ratschlag, besser nicht zu viel zu schlafen, ist aus meiner Sicht überhaupt nicht gerechtfertigt. Er basiert nämlich ganz alleine auf einer Korrelation, ohne dass wir wüssten, wo die herkommt. Die Anzahl der Störche pro Land in Europa korreliert auch mit der Anzahl der Geburten. Deswegen ist Störche vertreiben noch keine Verhütungsmethode. Nicht cool, Quarks.