Derzeit warten alleine in Deutschland etwa 11.000 Menschen auf eine Organspende. Viele sterben, bevor sie eine erhalten. Wissenschaftler verfolgen mehrere Strategien, die Organknappheit zu beenden. Das non plus ultra wäre, menschliche Organe im Labor nachwachsen zu lassen. Dafür fehlt leider noch eine Menge Grundlagenwissen. Eine vielversprechende Abkürzung ist, ein Organ aus einem unpassenden Spender oder sogar einem Tier zu nehmen und alle lebenden Zellen abzulösen. Auf das Gerüst bringt man dann Stammzellen des Patienten, die es besiedeln und wieder zu einem funktionierenden Organ machen. Da gibt es tolle Fortschritte, aber einsatzbereit ist das noch lange nicht.
Eine parallele Strategie ist, Organe aus Schweinen zu nehmen. Man könnte sie genetisch so verändern, dass ihre Organe für das menschliche Immunsystem unsichtbar sind. Die Abstoßung durch das Immunsystem ist nämlich das Hauptproblem bei dieser Strategie.
Jetzt wurde ein weiterer Ansatz auf einer Konferenz diskutiert. Mehrere Arbeitsgruppen versuchen, ein echtes menschliches Organ in einem Schwein oder Schaf wachsen zu lassen. Die Idee ist, im Tier die Gene auszuschalten, die für die Entwicklung des Organs notwendig sind, also dafür dass Schweineembryozellen zb zu Herzzellen werden. In so ein Embryo spritzt man dann menschliche Herzstammzellen. Die füllen entwicklungsmäßig die entstandene Lücke. Man kriegt ein Schwein mit einem menschlichen Herz. Wenn die Stammzellen vom Patienten kommen, gäbe es null Probleme mit einer Immunreaktion – es wäre sein eigenes Organ. Auf der Warteliste wäre er auch nur so lange, bis das Schwein groß genug ist. Und Schweine wachsen verdammt schnell. Schließlich sind sie darauf gezüchtet, möglichst schnell Fleisch zu produzieren.
Dieser Ansatz ist im Anfangsstadium. Wissenschaftler können so schon Schweinebauchspeicheldrüsen züchten, in denen jede zehnte Zelle menschlich ist. Jetzt müssen sie erst mal rausfinden, warum es bei manchen Schweinen jede zehnte und bei anderen nur jede hundertste ist. Aber ich vermute, dass wir von diesem Ansatz schnell mehr hören werden.
Tierrechtler verurteilen diese Art der Forschung. Sie finden, wir sollten Tiere nicht als Ersatzteillager benutzen. Für mich geht das ganz schnell auf die Frage zurück, was der ethische Wert eines Menschen ist und was der eines Schweins. Ich würde jederzeit und ohne zu zögern ein Schwein töten, um einem Menschen das Leben zu retten. Ich sehe durchaus, dass diese Abwägung nicht trivial ist und man eine Menge Argumente dazu austauschen kann. Das mache ich auch gerne – sehr spannende Diskussion. Allerdings bin ich mir auch bewusst, dass wir in einer Gesellschaft leben, die in der überwältigenden Mehrheit findet, dass man Schweine durchaus als Wurstlager benutzen darf. Solange das unsere gesellschaftliche Übereinkunft ist, sollte es nicht das geringste Zögern geben, Schweine oder andere Tiere medizinisch zu nutzen. Wir sollten uns zumindest alle darauf einigen können, dass die Versorgung von kranken Menschen mit gesunden Organen ein edleres Ziel ist, als die Versorgung der Party mit Würstchen.
Bei solchen sci-fi mäßigen Nachrichten aus der Wissenschaft muss ich immer daran denken, auf welchen Erkenntnissen aus der Grundlagenforschung das aufbaut und wie wenig so eine Anwendung vorauszusehen war. Stammzellen aus einem Erwachsenen gewinnen, die dann das Potential haben, zu einem Herz zu werden, können wir erst seit 2006. Die Entdeckung bekam 2012 den Nobelpreis. Sie geht zurück auf die Arbeit von John Gordon, der in den frühen 60ern mit Eizellen von Fröschen experimentierte und sich wunderte, wann welche Art von Kaulquappe da rauskommen würde. Ähnliche Forschung mit allen möglichen Tieren (und zt auch Pflanzen) hat dazu geführt, dass heutige Wissenschaftler genau wissen, welches Gen sie ausschalten können, damit das Schwein kein eigenes Herz entwickelt. Ganz abgesehen von der Forschung in abgefahrenen Bakterien, durch die wir heute überhaupt erst in der Lage sind, in irgendeinem Organismus irgendwelche Gene auszuschalten oder sonst wie zu ändern. Erforscht haben das Menschen, die kein Problem damit hatten, dass eine medizinische Anwendung ihrer Erkenntnisse vielleicht noch 50 oder 100 Jahre brauchen würde. Ihr Antrieb war ihre wissenschaftliche Neugier. Wie bei fast allen großen Entdeckungen, auf denen unsere Zivilisation aufbaut.
Stellt euch vor, die Wissenschaftler, die gerade diese Daten zum neuen Ansatz für Organzüchtung vorgestellt haben, hätten genau diese Idee gehabt, aber all diese Grundlagen würden fehlen. Die hätten wohl kaum gesagt: “Wir müssen erst mal ein Werkzeug entdecken, mit dem man Gene ausschalten kann, dann die Embryonalentwicklung erforschen und sehen, ob wir gezielt die Entstehung bestimmter Organe im Schwein irgendwie abschalten können, dann eine Möglichkeit finden, wie man aus erwachsenen Patienten Herzstammzellen gewinnt und die dann in diesen Schweineembryo injizieren. Da brauchen wir nur 50 Jahre lang Forschungsförderung für”. Wohl kaum. Sie hätten ohne all dieses Vorwissen nicht mal die Chance gehabt, diese Idee zu entwickeln.
Von allen Varianten der Wissenschaftsfeindlichkeit, von der ja heute unzählige aus jeder Kommentarspalte springen, ist mir die widerlichste die Aussage “das hat gar keinen Nutzen – das ist nur Neugierforschung!”