Zur #brainawarenessweek eine Frage zur Optogenetik.
Wenn man das Gehirn verstehen will, muss man viele Ansätze gleichzeitig verfolgen. Es gibt immer mal Meldungen wie “Wissenschaftler finden, wo im Hirn der Sextrieb sitzt”. Oder komplexere Sachen, wie gestern der grüne Kugelschreiber. Wie findet man so etwas raus?
Erstmal kann man anatomische Verbindungen verfolgen. Dann sieht man zb, welche Teile des Gehirns nur Infos vom Auge kriegen, welche nur vom Ohr, welche Infos aus allen möglichen Quellen.
Dann kann man Aktivität messen. Ist ein Teil des Hirns immer aktiv, wenn die Versuchsperson Sexualtrieb verspürt? Oder einen grünen Kuli sieht? Wenn das Hirngebiet wirklich dafür zuständig ist, muss das so sein.
Das reicht aber nicht für einen Nachweis, denn Korrelation ist nicht Kausalität. Zb hat Helmut Kohl beim Schreiben immer die Zunge rausgestreckt. Das heißt aber nicht, dass Schreiben in der Zunge verarbeitet wird.
Deswegen testet man, ob ein Hirngebiet für die entsprechende Leistung nötig und ausreichend ist.
“Nötig”: Wenn das Hirngebiet beschädigt ist (bei Menschen durch Schlaganfall oder Verletzung, bei Tieren im gezielten Experiment), kann die Leistung nicht mehr erbracht werden. Das ist aber immer noch kein endgültiger Nachweis. Das Gebiet könnte zb nur einen kleinen wenn auch notwendigen Teil zur Leistung beitragen. Wenn meine Ohren nicht mehr funktionieren, kann ich keine Sprache mehr verstehen. Das heißt aber nicht, dass Sprachverarbeitung in den Ohren stattfindet. Sie findet im Hirn statt, so dass ich die Ohren umgehen kann, etwa durch Schrift oder Zeichensprache. Wenn also durch Beschädigung eines Hirngebiets jedes Sexualverhalten aufhört, heißt das noch nicht, dass der Trieb auch wirklich da erzeugt wird.
“Ausreichend”: Deswegen ist der aussagekräftigste Test, das Gebiet zu stimulieren. Wenn das ausreicht, ein Verhalten oder eine Wahrnehmung auszulösen (“Ich sehe einen grünen Kuli”), ist der letzte Beweis erbracht. Ist das Hirngebiet nötig und ausreichend für etwas, kann man sagen, dass diese Sache in diesem Gebiet “sitzt”.
Solche Stimulationen kann man elektrisch machen. Einen ganz leichten Strom an die richtige Stelle und los geht’s.
Allerdings: Durch so eine Stimulation rege ich auch Nervenbahnen an, die nur vorbeiziehen. Dann denke ich, mein Gebiet wäre wichtig für Sexualverhalten, dabei liegt es nur zufällig neben einer Verbindung von Gebieten, die wirklich wichtig sind. Außerdem ist es zu einfach gedacht, wenn man sagt: “Gebiet x macht geistige Funktion y”. In einem Hirngebiet gibt es nicht nur verschiedene Untergebiete, sondern auch verschiedene Zelltypen. Zb liegen Zellen, die uns hungrig machen und Zellen, die uns satt machen, im selben Gebiet. Mit einer Elektrode würde ich beide gleichzeitig erwischen, und es wäre Glückssache, ob das insgesamt eher Hunger oder Sättigung auslöst.
Und jetzt kommt Optogenetik ins Spiel. Man nimmt ein Gen aus einer einzelligen Alge, dem “Augentierchen”. Das Gen kodiert für einen lichtempfindlichen Ionenkanal. Das bedeutet, wenn Licht da ist, geht der Kanal auf und es fließt ein ganz kleiner elektrischer Strom. Den nutzt das Augentierchen, um immer richtung Licht zu schwimmen. Herausgefunden von Augentierchenforschern aus reiner wissenschaftlicher Neugier (yay Grundlagenforschung!).
Dieses Gen kann man auch in andere Zellen einbringen, zb Hirnzellen. Und weil die mit elektrischer Aktivität funktionieren, kann man die dann mit Licht aktivieren (anschalten). Ich kann zb das Gen in einen harmlosen Virus einbringen und in eine bestimmte Stelle des Gehirns injizieren. Dort infiziert der Virus alle Zellen in einem bestimmten Umkreis. Durch gentechnische Tricks sorge ich aber dafür, dass nur bestimmte Zellen das Licht-Gen auch ablesen. Dann kann ich diese Zellen gezielt aktivieren, wenn ich Licht drauf scheine.
Das erste Experiment, das über ein “Leute, das funktioniert” hinausging und wirklich etwas mit Hilfe von Optogenetik herausgefunden hat, war aus der Schlafforschung mit Mäusen. In einem Hirngebiet, in dem ganz viele Zellen durcheinander sind, wurde das Opto-Gen (der korrekte Name ist Kanalrhodopsin) nur von Zellen abgelesen, die gleichzeitig einen bestimmten Neurotransmitter benutzen, das Hypocretin. In dieses Hirngebiet setzten die Forscher dann auch einen Lichtleiter, so dass man die Zellen gezielt anschalten konnte. Waren die Mäuse wach, passierte nichts. Schliefen die Mäuse, wachten sie dadurch auf. Beweis erbracht, dass diese Zellen ausreichend für das Aufwachen sind! Wäre vorher unmöglich gewesen. Danach ging Optogenetik wie ein Lauffeuer um die Welt (yay Schlafforschung!) und ist heute Standard in jedem Elektrophysiologie-Labor.
Das ist also Optogenetik. Unschätzbar wertvoll für die Hirnforschung. Außer den Fragen nach der Funktion bestimmter Hirngebiete kann man damit auch die FunktionsWEISEN besser erforschen, zb “was passiert an der Synapse, wenn dieser Zelltyp genau soundso oft feuert”?
Direkte medizinische Anwendungen sind in der Pipeline. Als erstes wird eine Anwendung für eine bestimmte Art der Blindheit kommen (toi, toi, toi), bei der die lichtempfindlichen Zellen der Netzhaut im Auge absterben. Durch Optogenetik macht man einfach andere Zellen lichtempfindlich und weiter geht’s. Da laufen bereits klinische Studien mit. Andere Anwendungen in der Entwicklung versuchen, klinische Methoden zu verbessern, bei denen heute noch mit elektrischen Elektroden stimuliert wird, zb tiefe Hirnstimulation bei Parkinson.
Die konkrete Frage an mich war jetzt, wie viele Zellen man damit gleichzeitig stimulieren kann. Wenn man das Gen mittels Virus ins Gehirn bringt, ist der erste Flaschenhals, wieviele Zellen man transfiziert kriegt. Will man ein großes Gebiet erreichen, muss man viele Injektionen machen, wodurch man das Gehirn natürlich mehr beschädigt als mit einer einzigen. In Mäusen kann man den Virus weglassen und stattdessen eine transgene Maus züchten, die das Kanalrhodopsin überall dort exprimiert, wo man es haben will. Dann hat man aber immer noch das Problem mit dem Licht. So ein Lichtleiter beleuchtet nur den Fleck vor seiner Nase. Wenn ich ausreichend Licht in ein großes Hirngebiet bringen wollte, müsste ich viele Lichtleiter implantieren und wäre wieder beim Problem der zu großen Schädigung.
Diese Problematik hat mir übrigens schon viel Kopfzerbrechen bereitet. Ich habe nämlich an Zellen geforscht, die quer über die gesamte Hirnrinde verteilt sind. Um die optogenetisch stimulieren zu können, hätte ich meine Großmutterzellen verkauft (hehe).
Eine Alternative sind dreadd-rezeptoren, auch chemogenetics genannt. Statt Licht verabreicht man eine Art Droge, die nur Zellen aktiviert, die das entsprechende eingebrachte Gen ablesen. Da fehlt die tolle zeitliche Auflösung von Optogenetik, aber für Fragen wie “sind diese Zellen wichtig für Sextrieb” funktioniert das (hat für mein Projekt auch nicht getaugt, aber ich will euch nicht mit Details langweilen).
Eine weitere Idee ist, statt opto-kanälen magneto-kanäle einzubringen. Dann könnte man sich die Lichtquelle sparen und große Hirngebiete per Magnetfeld-Impuls aktivieren. Das wäre auch sehr interessant für die klinische Anwendung. Hat bisher nicht wirklich funktioniert, ist aber in mache.
Ahso, falls ihr euch fragt, was mit dem Sextrieb ist – ja, kann man optogenetisch auslösen. Es gibt zb einen Zelltyp, dessen Aktivierung dazu führt, dass die Maus sofort eine weibliche Maus besteigt. Und zwar unabhängig davon, ob sie selbst ein Männchen oder ein Weibchen ist.