Das legt zumindest die starke Korrelation nahe, die gerade eine Auswertung eines Langzeit-Datensatzes gefunden hat. Über 9000 Londoner zwischen 35 und 55 wurden etwa 30 Jahre lang medizinisch verfolgt. Unter anderem wurden sie gefragt, wie viel Alkohol sie so trinken. Dann wurde geschaut, wie viele bis heute eine Demenzerkrankung wie Alzheimer bekommen haben. Ergebnis: je mehr Alkohol, desto höher das Risiko für Demenz.
https://www.bmj.com/content/362/bmj.k2927
Die Studie geht gerade viel durch die Presse. Die meisten Artikel konzentrieren sich aber nicht auf das Hauptergebnis (Schnaps macht blöd), sondern auf einen kleineren Effekt, der auch gefunden wurde. Versuchsteilnehmer, die überhaupt keinen Alkohol tranken, hatten ein leicht erhöhtes Demenzrisiko gegenüber denen, die sehr wenig Alkohol tranken. Deswegen haben die meisten Artikel über die Studie Überschriften wie “Alkohol in Maßen schützt vor Alzheimer”. Was ist an dieser Aussage dran?
Die Autoren der Studie berichten, dass die Gruppe der völligen Abstinenzler etwas aus der Reihe fiel. In vorherigen Studien mit ähnlichen Ergebnissen hatte sich herausgestellt, dass unter den Abstinenzlern oft ehemalige (“trockene”) Alkoholiker sind. Die haben natürliche stärkere Schäden durch Alkohol als Leute, die ihr ganzes Leben nur zwei Bier die Woche trinken. Diesen Effekt konnte auch die aktuelle Studie nicht ausschließen. Die Autoren vermuten, dass er weniger stark als in manchen anderen Studien ist, weil sie bereits im mittleren Alter angefangen haben zu testen (sie scheinen zu vermuten, dass viele Alkoholiker erst später trocken werden – weiß ich nichts näheres zu). Allerdings sind die Abstinenzler in der aktuellen Studie anderweitig besonders. Es sind überdurchschnittlich viele Frauen mit niedrigem Einkommen und hohem Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen (schlechte Ernährung, wenig Bewegung, usw). Solche Herz-Kreislauf-Risikofaktoren erhöhen bekanntermaßen nicht nur das Risiko für Herz-Kreislauf-Probleme sondern eben auch für Alzheimer. Ist also gut möglich, dass die Abstinenzler-Gruppe kein erhöhtes Risiko hatte, weil sie zu wenig Alkohol tranken, sondern weil sich – aus welchen Gründen auch immer – andere Risikofaktoren bei ihnen häuften. Für diese Interpretation spricht eine Teilanalyse der Studie. Sie haben bei den Abstinenzlern mal alle rausgenommen, die später eine Herz-Kreislauf-Erkrankung bekommen haben. Bei den verbleibenden Abstinenzlern war das Demenzrisiko nicht statistisch signifikant höher als bei den moderaten Trinkern.
Allerdings erwähnen die Autoren in der Diskussion auch Sichtweisen, nach denen eine geringe Menge Alkohol tatsächlich gewisse vorteilhafte Effekte haben könnte, bspw. über Effekte auf Blutfettwerte oder Entzündungsprozesse. Tatsächlich sieht man bei moderaten Trinkern, die für eine Studie eine Alkoholpause einlegen, dass bestimmte Biomarker für Herz-Kreislaufprobleme hoch gehen, zb. Cholesterinwerte.
Das hat mich näher interessiert, deswegen habe ich in eine Metaanalyse geschaut, die in der Studie zitiert wird, nämlich diese hier https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/29676281?dopt=Abstract
In Daten von insgesamt fast 600.000 Menschen findet sie, dass Alkohol das Risiko erhöht zu sterben. Punkt. Je mehr Alkohol, desto schneller tot. Nix mit “moderat ist besser als abstinent”. Allerdings ist beim Spezialfall Herzinfarkt die Korrelation anders herum. Alkohol scheint wirklich vor Herzinfarkt zu schützen. Das geht ganz schnell in eine Sättigung – mit relativ wenig Alkohol hat man schon den maximalen Effekt, und noch mehr macht dann keinen Unterschied mehr. Außerdem wird der positive Effekt auf Herzinfarkt aufgefressen von den negativen Effekten, die Alkohol gleichzeitig hat (auch auf andere Herz-Kreislaufprobleme), daher ja das Ergebnis, dass die Menge des Alkoholkonsums ziemlich linear mit früherem Tod zusammenhängt. Interessant an der Sache finde ich aber, dass bestimmte gesundheitsfördernde Effekte von geringen Mengen an Alkohol nicht völliger Quatsch zu sein scheinen und zumindest in der Fachwelt diskutiert werden.
Deswegen habe ich die Erstautorin der Demenzstudie auf Twitter gefragt, was sie denn jetzt für wahrscheinlicher hält. Kommt das höhere Demenzrisiko bei den Abstinenzlern einfach daher, dass die aus anderen Gründen ein höheres Risiko haben? Oder könnte doch Alkohol in ganz kleinen Mengen ein ganz kleines bisschen vor Demenz schützen?
Aber sie lässt sich auf keine Spekulation ein. Stellt nur fest, dass man es zu diesem Zeitpunkt nicht sagen kann. Wie so oft: Mehr Forschung nötig