Glyphosat ist der bekannteste Unkrautkiller der Welt. Nicht unbedingt der beliebteste. Gegen Glyphosat wird viel demonstriert und petitioniert. Nicht etwa, weil es außergewöhnlich giftig wäre. Im Gegenteil ist es besonders ungiftig für den Menschen und im Vergleich mit alternativen Herbiziden auch sehr umweltverträglich, weil es sich schnell abbaut und nirgendwo anreichert.
In der Kritik steht es aus verschiedenen Gründen. Einer ist, dass es einfach sehr viel eingesetzt wird und so erfolgreich Unkräuter platt macht, dass sie bestimmten Insekten als Nahrung fehlen. Das ist besonders in USA der Fall, wo Glyphosat großflächige Monokulturen ermöglicht. Die Landwirte bauen Mais oder Soja an, das mittels Gentechnik unempfindlich gegen Glyphosat ist. Dann sprüht man es in regelmäßigen Abständen drauf, so dass andere Pflanzen gar nicht erst auf die Idee kommen, den unkrautigen Kopf aus dem Boden zu stecken. Gut für die Ernte, nicht so für die Biodiversität.
Mit den genveränderten Pflanzen kommt auch direkt der zweite Kritikpunkt. Glyphosat ist durch diese Anwendung mit grüner Gentechnik verwoben und deswegen im Fadenkreuz von Gentechnikgegnern. Bei uns gibt es diese Art des Anbaus zwar nicht, aber die Assoziation bleibt.
Außerdem habe ich Kritiker in Kommentaren gelesen, in deren Augen Glyphosat für die industrialisierte Landwirtschaft im allgemeinen steht und sozusagen als Stellvertreter zum Objekt des Protestes wird.
In der breiteren Öffentlichkeit geht es meistens darum, ob Glyphosat jetzt krebserregend für den unbedarften Gemüseverzehrer sei. Das ist es nicht. Dazu zwei Artikel (1, 2). Ich vermute, dass diese Krebssache immer wieder hochgekocht wird, weil manche Glyphosatkritiker den normalen Bürgern nicht zutrauen, komplexere Kritikpunkte überhaupt nachvollziehen zu können.
Der Gegenentwurf zur glyphosatsprühenden industrialisierten Landwirtschaft ist zumeist der Bioanbau.
Der hat einige Punkte, die ich gut finde. Besonders das Bemühen, mit so wenig Pestiziden wie irgend möglich auszukommen. Es gibt aber auch Punkte, die ich nicht so gut finde. Sogar einen, der mich richtig sauer macht. Nämlich: Wenn also der Pestizideinsatz auf das absolute Minimum reduziert worden ist und dann irgendwann aber dieses Minimum dann doch ausgebracht werden muss – was nimmt man da? Wird geklärt in Artikel 16, 2b der entsprechenden EU-Verordnung:
Ausschließlich natürliche Substanzen. Nix “chemisches”.
Warum macht mich das sauer? Weil das null damit zu tun hat, wie schädlich eine Substanz ist! Wenn es bei Bio einfach strengere Auflagen für Pestizide gäbe, z.B. dass nur die aller ungiftigsten unter den eh schon recht streng bewerteten “normalen” Pestiziden benutzt werden dürften, würde das wenigstens Sinn machen. Aber ob eine Substanz aus einer Pflanze, einem Bakterium oder einem Labor kommt, sagt einfach überhaupt gar nichts über ihre Gefährlichkeit. Aflatoxin B1 ist natürlich. Und einer der krebserregendsten Stoffe, den wir kennen. Botox ist natürlich. Und so giftig, dass man mit der Menge eines Salzkorns 500.000 Menschen in die ewigen Jagdgründe schicken könnte. Dieser Teil des Bioanbaus ist reiner Humbug. Abergläubischer Quatsch.
Und genau deswegen überkam mich ein schadenfrohes Grinsen, als ich gestern diesen Artikel gelesen habe (ja, für die Schadenfreude schäme ich mich ein bisschen). Wissenschaftler haben eine überaus interessante Substanz in einem Cyanobakterium gefunden. Eine Substanz mit dem wohlklingenden Namen 7-deoxy-seduheptulose. Für Freunde auch einfach 7dSh.
Was die so interessant macht? Sie blockiert einen Stoffwechselweg namens Shikimat-Weg. Der ist lebensnotwendig für Pflanzen, kommt aber in Tieren nicht vor. Eine Substanz, die den blockiert, wäre also ein starkes Pflanzengift aber ungefährlich für Mensch und Tier. Kommt euch irgendwie bekannt vor? Könnte daran liegen, dass das exakt das gleiche ist, das Glyphosat macht. 7dSh ist sozusagen Bio-Glyphosat. So natürlich wie Morgentau, Regenbögen und Aflatoxine.
Sollte sich die Anwendbarkeit und geringe Giftigkeit von 7dSh in Tests bestätigen, hätte der Gesetzgeber ein interessantes Problem. Wird das für den Bioanbau zugelassen, obwohl es genau das gleiche macht wie Glyphosat, die un-bio-igste Substanz der gesamten Landwirtschaft?
Natürlich gehören zum Bioanbau noch andere Aspekte, als dass die Pestizide “natürlich” sein müssen. Sollte 7dSh tatsächlich als biosiegelkompatibel eingestuft werden, dürften daher bio-Landwirte noch lange nicht so damit umgehen wie die Monokultur-Bauern in USA.
Aber das ist genau mein Punkt. Glyphosat ist für ein Herbizid sehr harmlos. Probleme entstehen, wenn es unmäßig eingesetzt wird. Das kann man gezielt angehen. Aber wir machen doch nichts besser, wenn wir die Substanz insgesamt abschaffen!
Unser aller Ziel sollte eine Landwirtschaft sein, die unsere Bevölkerung verlässlich ernährt und dabei so umweltverträglich wie möglich ist. Dafür brauchen wir Verbesserungen, die nach wissenschaftlichen Prinzipien erarbeitet und etabliert werden. Die Unterteilung in “natürlich” und “chemisch” gehört da nicht zu.