Gestern gab es bei Panorama einen längeren Beitrag über die fortschreitenden Antibiotikaresistenzen. Basierend darauf auch einen kürzeren in der Tagesschau. Wie die Tagesschau das Thema aufbereitet hat, fand ich sehr gut. Mit dem Panoramabericht habe ich ein Problem. Er erhebt eine Anklage gegen die Pharmaindustrie, dass sie ihrer Pflicht nicht nachkämen, neue Antibiotika zu entwickeln. Das ist ein nachvollziehbarer erster Impuls. Aber er macht wenig Sinn, wie Panorama doch eigentlich in ihrer eigenen Recherche gesehen haben.

Antibiotikaresistenzen sind ein riesen Problem. Ausmaß des Problems, biologische Gründe und Mechanismen für Resistenzbildung und was wir dagegen tun können, haben wir kürzlich bei maiLab in einem Video ausgeführt.
Die Entwicklung eines neuen Medikaments kostet mehrere hundert Millionen bis mehrere Milliarden Euro. Die Entwicklung speziell von Antibiotika bringt kein Geld. Das liegt vor allem daran, dass neue Antibiotika als Reservemittel erst einmal reguliert und nicht verkauft werden. Was nicht verkauft wird, bringt kein Geld ein. So ist das bestehende System. Jetzt innerhalb dieses Systems von Pharmafirmen verlangen, dass sie aus moralischen Gründen trotzdem Antibiotika entwickeln, ist de facto von ihnen verlangen, dass sie etwa eine Milliarde Euro spenden. Wäre natürlich cool, wenn das einer von den machen würde. Aber ich finde es ziemlich unsinnig, das zu verlangen und zu denken, man hätte da triftige Argumente.
Die Lösung muss sein, die Rahmenbedingungen zu ändern. Die Pharmaentwicklung ist nun mal marktwirtschaftlich organisiert. Man könnte argumentieren, dass sie eben lieber staatlich organisiert und finanziert werden sollte. Das machen wir aus guten Gründen nicht so, weil das eben alle Nachteile hätte, die Planwirtschaft so hat. Man könnte auch argumentieren, dass man eben die staatlichen Regulierungen von Antibiotika aufheben müsse, damit die Kraft des Marktes sich voll entfalten könne. Also, dass keine Antibiotika als Reserve zurückgehalten werden, sondern sie sofort nach der Entwicklung völlig unreguliert verkauft werden dürfen. Und weil die dann schnell wirkungslos würden, gäbe es halt finanziellen Anreiz, ständig weiter neue Antibiotika zu entwickeln. Das halte ich auch für keine gute Idee, weil man darauf setzen müsste, dass die Entwicklung neuer Antibiotika ganz easy schneller laufen könnte als jede Resistenzbildung (bei unkontrolliertem Einsatz). Es gibt gute Gründe, das Gegenteil anzunehmen.
Daher brauchen wir halt innerhalb des bestehenden Systems eine Regelung, wie die Entwicklung von Antibiotika für Pharmafirmen attraktiv werden kann. Bspw. könnte man sagen, dass ein Staat oder z.B. die WHO die Rechte für ein erfolgreich zugelassenes neues Antibiotikum aufkauft. Zu einem Preis, der ungefähr dem entspricht, was man mit einem neuen Medikament so am Markt verdienen könnte. Dann hätten wir einen Anreiz für neue Antibiotika und trotzdem die Möglichkeit, die gesundheitspolitisch optimal einzusetzen. Oder man setzt halt Programme auf, in denen öffentliche Mittel anders den finanziellen Verlust abwenden, der mit der Entwicklung von Antibiotika einher geht. Ein existierendes Beispiel für so ein Programm ist CARB-X. Wenn jemand einen vielversprechenden Ansatz für ein Antibiotikum hat (oder ein äquivalentes Medikament, z.B. Bakteriophagen), kann er da einen Forschungsantrag stellen und kriegt bei Erfolg das Projekt finanziert. Das Geld kommt von öffentlichen Stellen (also aus Steuern) und von privaten Spendern wie der Bill&Melinda Gates Foundation. Ganz ähnlich wie das z.B. mit Grundlagenforschung an Unis läuft. Aber in diesem Fall können sich auch Pharmafirmen darauf bewerben. Dann können sie eben ein Medikament entwickeln ohne unter dem Druck zu stehen, dass das Geld auf jeden Fall wieder reinkommen muss. Ist es fertig entwickelt, kann Herstellung und Vertrieb wieder ganz normal wirtschaftlich und profitorientiert laufen, so die Idee.
Allerdings wurde auch ein Projekt von Achaoegen von CARB-X finanziert. Das ist das Startup, das im Bericht von Panorama vorkommt. Die haben wohl erfolgreich ein Antibiotikum entwickelt. Obwohl das fertig entwickelt und zugelassen war, fanden sie keinen Partner (also größere Pharmafirma), die einsteigen und Produktion und Vertrieb stemmen wollte. Achaogen ging Pleite. Ohne, dass ich den Fall näher kenne, scheint das ein Problem aufzuzeigen, das auch mit dem jetzigen Ansatz – Übernahme von Entwicklungskosten aus öffentlichen Mitteln – weiter besteht.
Die Antwort muss also sein, bessere Ideen zu entwickeln, wie wir die Rahmenbedingungen ändern können. Bei so einem langen Beitrag wie dem gestern von Panorama hätte ich gerne mehr in diese Richtung gesehen. Auch ich bin der Meinung, dass forschende Pharmaunternehmen eine Verantwortung für die Gesellschaft haben, die sie wahrnehmen müssen. Aber von einem wirtschaftenden Unternehmen zu verlangen, dass es sehenden Auges ein milliardenschweres Verlustgeschäft eingeht, kann doch nicht unser bester Lösungsvorschlag sein.