Wir sind Zeitzeugen vieler spannender Umwälzungen in den Wissenschaften. Eine dieser Kontroversen ist jetzt zu neuem Leben erwacht und wirbelt die Neurowissenschaften gehörig auf.
Wissenschaftler haben früh festgestellt, dass Hirnzellen nicht nachwachsen. Neue Zellen gibt es nur bei Kindern solange das Hirn wächst. Was danach weg ist, ist weg.
Dann gab es eine riesen Umwälzung, einen “paradigm shift”. Es konnte nachgewiesen werden, dass auch bei Erwachsenen noch Neurone im Hirn nachwachsen können. Zwar nur im Riechkolben und im Hippocampus (fürs Gedächtnis zuständig), aber immerhin! Seit dem gibt es viel Forschung dazu, wofür diese neuen Zellen gebildet werden und ob man das gesundheitlich irgendwie nutzen kann.
Jetzt der nächste Kracher, über den gerade alle reden. Beim Menschen wachsen diese Zellen womöglich doch nicht nach! Das Forscherteam untersuchte Hirne von verstorbenen Spendern und auch frische Hirnproben, die bei OPs entnommen werden mussten. Mit einer speziellen Färbung für neugeborene Neurone fanden sie viele in Hirnen von Kleinkindern, wenige in Hirnen von Jugendlichen und keine mehr in Hirnen von Erwachsenen. Die Interpretation: Das mit den nachwachsenden Hirnzellen bei Erwachsenen findet zwar bei allen möglichen Tieren wie Nagern und (nichtmenschlichen) Affen statt, aber eben nicht bei Menschen. Bisherige Bestätigungen bei Menschen müssten Artefakte gewesen sein, weil sie technisch nicht so hochwertig waren wie die jetzt vorgelegte Studie.
Diese Studie ist in der Tat solide, aber überzeugt ist das Feld noch nicht. Wie es eben so geht, bei umwälzenden neuen Ergebnissen – außergewöhnliche Behauptungen benötigen immer außergewöhnlich starke Beweise.
Ein Einwand ist zb dieser: Wir wissen aus vorheriger Forschung, dass körperliche Betätigung die Bildung neuer Hirnzellen anregt und Stress sie hemmt (das war oftmals in Form verfrühter Gesundheitsratschläge zu lesen – “macht Sport, dann wachsen Hirnzellen nach”). Könnte es sein, dass die Hirnspender einfach alle stark gestresst waren? Immerhin sind sie gestorben. Oder hatten mindestens eine schwere Hirn-OP vor sich.
Ihr könnt euch sicher sein, dass ihr zu dieser Frage in der nächsten Zeit noch viel lesen werdet. Und dass in diesem Moment viele Arbeitsgruppen auf der ganzen Welt Experimente planen, mit denen man die Frage nach den nachwachsenden Hirnzellen in Erwachsenen abschließend beantworten könnte.
Hier ist ein toller Artikel (Englisch), in dem Forscher beider “Lager” ihre Sichtweise darlegen.