Eine niederländische Arbeitsgruppe stellt Ergebnisse mit erwachsenen ADHS-Betroffenen vor. Ein Drittel hatte schon als Kind oder Jugendlicher Ritalin bekommen, ein weiteres Drittel erst als Erwachsene, die anderen noch nie. Mittels Magnetresonanzspektroskopie maßen die Forscher die Spiegel der Neurotransmitter GABA und Glutamat in einem kleinen Bereich des Vorderhirns, der unter anderem für Konzentration zuständig ist.
Sie fanden keinen Unterschied für Glutamat. Allerdings hatte die Gruppe mit früher Ritalingabe niedrigere Spiegel von GABA als die Gruppe mit später Ritalingabe (keine statistisch signifikanten Unterschiede zur Gruppe ganz ohne Ritalin – passiert, braucht man größere Stichproben, um da klar zu sehen).
Schlussfolgerung: Ritalingabe während der Entwicklung verändert langfristig das Gehirn.
Was bedeutet das für uns? Für sich genommen erst mal nix. Das ist ein kleines Stück in einem großen Puzzle, von dem uns noch zu viele Teile fehlen.
Was mir z.B. in dieser Studie fehlt, ist die Kontrollgruppe ohne ADHS. Ja, die Gruppen mit früher und später Ritalingabe unterscheiden sich, aber welche von beiden ist näher am ADHS-freien Zustand? Ist die gefundene Langzeitveränderung wirklich schlecht?
Zur Verdeutlichung: stellt euch vor, die Studie hätte gefunden, dass regelmäßige Meditation bei Jugendlichen das Gehirn noch bis ins Erwachsenenalter verändert. Würdet ihr da nicht automatisch annehmen, das könnte nur etwas gutes sein? Die Datenlage wäre die gleiche – wir sehen Änderungen bei Neurotransmittern, aber was uns wirklich interessiert ist ja eigentlich die Psychologie.
Was wir vor allem wissen wollen (keine Kritik an dieser Studie, das wäre Stoff für andere Studien) ist, mit welchen Änderungen des Verhaltens oder Befindens der Betroffenen die gefundenen Effekte einhergehen. Die Autoren schreiben, dass die GABA-Spiegel nicht mit der Schwere der Symptome korreliert haben. Man kann also auf keinen Fall aus dieser Studie schlussfolgern, Ritalin während der Entwicklung würde ADHS später schlimmer machen. Allerdings auch nicht, dass das nicht so wäre. Das erfordert eigene Studien, die meines Wissens auch laufen.
Vorerst bleibt für uns: Was wirkt, hat auch Nebenwirkungen. Langfristige Veränderungen des Gehirns durch psychoaktive Substanzen während der Entwicklung sind plausibel, und die Möglichkeit muss mit in Erwägung gezogen werden. Demgegenüber steht der Leidensdruck für das Kind mit ADHS, verpasste Chancen, in der Schule mitzukommen und erhöhtes Unfallrisiko. Ob Ritalin dann eine gute oder schlechte Wahl ist, hängt vom Einzelfall ab. Da hilft das Gespräch mit einem Facharzt, bei dem man sich nicht nur kompetent, sondern auch auf der gleichen Wellenlänge beraten fühlt.