Aikiko Hida gibt zum Einstieg ein paar Infos zu den Grundlagen und was wir bis jetzt darüber wissen, wofür Schlaf wichtig ist. Die volkswirtschaftlichen Kosten von Schlafmangel wurden für Deutschland mit 60 Milliarden Euro errechnet (Leistungsausfall durch verpennte Arbeiter). Außerdem gibt es starke Hinweise, dass Schlafmangel schlecht für die Gesundheit ist. Macht dick, schlecht für Herz-Kreislauf, evtl sogar für Hirngesundheit (Ergänzung von mir: ich sehe keinen Grund zur Panik für Leute, die Schlafprobleme haben. Allerdings genug Grund, seinen Schlaf ernst zu nehmen und gesundes Schlafverhalten zusammen mit Sport und Ernährung als Teil der persönlichen Gesundheitsvorsorge zu betrachten).
Dann stellt Aikiko Daten über circadiane Rhythmik vor. Frühaufsteher und Spätaufsteher haben etwas kürzere bzw längere Rhythmen. Wenn der innere Rhythmus besonders lang ist, kann man zum mega Spätaufsteher werden (delayed sleep phase syndrome). Ist er noch länger, schafft man es gar nicht mehr, sich an einen Tagesrhythmus zu halten (non-24h sleep wake disorder). Wenn Aikiko ein paar Hautzellen von diesen Leuten nimmt, kann sie mit gentechnischen Methoden einen leuchtenden Farbstoff einbringen, der den inneren Rhythmus in diesen Zellen sichtbar macht. Dann kann sie nur an diesen Hautzellen schon sehen, ob jemand einen besonders langen oder kurzen Rhythmus hat. Für mich sah die Streuung noch zu groß aus, um das wirklich zur Diagnose zu benutzen, aber mega interessant für die Forschung.
Jessica Payne stellt ihre Daten zu Schlaf und Gedächtnis vor. Emotionale Erlebnisse merken wir uns besser. Das geht dann aber auf Kosten der weniger emotionalen Bestandteile des Erlebnisses. Wenn uns jemand mit einem Messer bedroht, erinnern wir uns danach sehr lebhaft an das Messer, aber oft nicht mehr an das Gesicht des Täters. Diesen Effekt untersucht sie mit Fotos, die emotionale und neutrale Bestandteile haben. Bei einem Auto im Vordergrund (neutral) und einer Häuserreihe im Hintergrund (neutral), merkt man sich alles gleich gut. Bei einem schlimmen Unfall im Vordergrund (emotional) und der gleichen Häuserreihe im Hintergrund, merkt man sich das Auto besser und die Häuser schlechter als beim anderen Bild. Wenn man vor dem Erinnerungstest schläft, bleibt die Erinnerung für die neutralen Bilder gleich. Der Unterschied von emotional versus neutral wird aber deutlich größer. Sie schließt daraus, dass die emotionale Bewertung von Erlebnissen und Sortierung in wichtig und unwichtig mehr im Schlaf als im wach stattfindet. Wie stark dieser Effekt für ein Bild ist, korreliert damit, wie sehr es einen aufgewühlt hat, was sie mittels Kortisolspiegel und Hautwiderstand (schwitzen) festgestellt hat. Diese Korrelation gab es aber nur bei der Gruppe, die nach dem Lernen geschlafen hat. Jessica vermutet, dass ein Stresssignal wie zb Kortisol eine Erinnerung für die Sortierung im Schlaf schon mal markiert.
Eva Winnebeck aus München versucht, große Datenmengen über Schlaf bei Menschen zu sammeln. Goldstandard ist EEG, aber das dauert lange und ist teuer. Mit Fragebögen kriegt man am schnellsten viele Probanden zusammen, aber sie sind am ungenauesten, weil Menschen ihr Schlafverhalten oft falsch einschätzen. Als Mittelweg nutzt sie Aktivitätsmessungen per Armband, ähnlich wie bei der Apple watch. Sie zeigt Daten von der Schlafenszeit in Deutschland. Trotz allem elektrischen Licht und Bildschirmgeräten hängt die auch heute noch sehr stark von der Sonne ab. In Görlitz geht die Sonne etwa 30 Minuten früher auf und unter als in Aachen. Und die Menschen gehen auch 30 Minuten früher ins Bett, trotz selber Zeitzone, Fernsehprogramm, etc.
Als Schlafforscher, der selbst mit EEG arbeitet, dachte ich, dass die Tiefe ihrer Ergebnisse auf diesem Level aufhören würde. Schließlich fehlen einem mit Aktivitätsmessungen ganz viele Daten, die man erst im EEG sehen kann. Aber dann hat sie gezeigt, dass sie in ihren Daten ganz deutlich die Schlafzyklen sehen kann (Schlafphase 1-3, gefolgt von REM). So ein Zyklus dauert etwa 90 Minuten und wird mehrmals pro Nacht wiederholt. Dadurch konnte sie in ihrem riesigen Datensatz ermitteln, wie lang diese Schlafzyklen im Durchschnitt sind (90-120 min), ob die Länge von Alter oder Geschlecht abhängt (nö) und dass Langschläfer auch längere Zyklen haben. Frauen bewegen sich insgesamt weniger im Schlaf als Männer.
Richtig spannend wurde es für mich hier: die Amplitude dieser Schlafzyklen (nur durch nächtliches Zappeln gemessen) nimmt im Laufe der Nacht ab. Die Rate dieser Abnahme ist genauso wie die von einem EEG-basierten Maß für Schlafdruck. Das heißt, dass Eva die sogenannte Schlafhomöostase untersuchen kann, ohne EEG aufnehmen zu müssen! Das eröffnet die Möglichkeit, diese spannende Grundlagenforschung als high-throughput zu machen, also mit vielen Menschen (und damit hoher statistischer Aussagekraft) Unterschiede der Schlafeffektivität und ihrer Abhängigkeit von Vererbung Alter, Lebensweise, Ernährung, usw zu untersuchen. Sollte diese Schlafeffektivität ein Vorbote bestimmter Krankheiten sein (was ich vermute), kann man das mit so einem Ansatz viel besser und schneller finden als im herkömmlichen Schlaflabor. Jede Wette, dass Eva in den nächsten Jahren einen Knüller nach dem anderen findet. Einen Vorgeschmack hat sie schon gegeben: die Amplitude der Schlafzyklen und die Rate ihrer Abnahme (Schlafeffektivität) werden im Alter geringer. Auch geringer wird die bei Schichtarbeitern. Wie wichtig das für die Gesundheit ist, wird sich erst zeigen, wenn man das mit verschiedenen anderen Maßen vergleicht, eben wie die Gesundheit dieser Menschen so ist und wie sie sich entwickelt. Der Punkt ist, dass man das mit dieser Methode jetzt richtig gut machen kann. Toll!
Update: Das erste Paper zu diesen Daten ist mittlerweile rausgekommen: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/29290561