Ich habe dieses Bild heute viermal zugeschickt bekommen. Geht gerade viral. Ich dachte ich erzähle mal ganz wertfrei was über die Grundlagen, falls jemand von euch gerade denkt: “Hm, jetzt lachen alle, aber dasunddas kommt mir eigentlich ganz logisch vor”, und sich jetzt nicht mehr traut zu fragen.
Jeder weiß, dass Wasser zu Dampf werden kann. Ist übrigens nicht so, dass es dazu 100C heiß sein müsste. Also, gewissermaßen schon. Aber der Reihe nach.
Wärme ist Bewegung der Moleküle. Je schneller die sausen, vibrieren, kreisen, desto heißer die Substanz. Wenn ich eine Wärmflasche anfasse, stoßen die schnellen Moleküle der Wärmflasche gegen die Moleküle meiner Hand, so dass die auch schneller werden. Sozusagen angeschubst. Dann ist meine Hand warm.
Wasser hängt als Flüssigkeit zusammen, weil die Moleküle sich gegenseitig anziehen. Sie ziehen sich aber nur so mittelstark an. Jeder von uns ist zB stark genug, einen Löffel Suppe aus dem Suppenverband von Wassermolekülen zu reißen. Wenn ein Wassermolekül sich so richtig schnell bewegt, hat es so viel Schwung, dass die anderen es nicht mehr festhalten können. Wenn das an der Wasseroberfläche passiert, flitzt es in die Luft. Das ist Verdunstung.
Die Hitze, die ein Wassermolekül für diesen Move braucht, ist 100C. Hä? Aber Wasser verdunstet doch auch bei viel niedrigeren Temperaturen! Sonst würde doch die Wäsche auf der Leine gar nicht trocknen können!
Jupp. Die Wassertemperatur ist sozusagen der Mittelwert aller beteiligten Moleküle. Einige haben mehr Schwung, andere weniger. Das ändert sich auch ständig, weil die ja zusammenstoßen und gegeneinander vibrieren. Da ist mal eins schneller, mal das andere.
Und wenn halt zufällig eins an der Wasserberfläche gerade von vielen Seiten angestoßen wird, ist es über 100C und haut ab. Deswegen gibt es auch Verdunstungskälte. Wenn immer die heißesten Moleküle abhauen, sinkt der Durchschnittsschwung der übriggebliebenen Moleküle. Ist wie wenn die besten deutschen Wissenschaftler nach Amerika auswandern, weil da die Forschungsbedingungen besser sind. Wird die Forschung in Deutschland insgesamt schlechter (dieser Trend hat sich übrigens in den letzten Jahren entschärft – Grund ist eine Kombination aus guter Wissenschaftsförderung in D und miserabler Entwicklung in USA).
Ist der Durchschnittsschwung meines Wassers 100C, fangen auch Moleküle mittendrin (also nicht an der Oberfläche) an, sich loszureißen und damit zu Dampf zu werden. Deswegen blubbert Wasser beim Kochen.
So. Warum wird jetzt Tomatensoße dicker beim Einkochen (ich glaube die korrekte Küchennomenklatur wäre hier “Reduzieren”, aber was weiß ich schon)? Die gelösten Substanzen wie Salz oder Proteine machen bei dem Geflitze nicht mit. Also, sie wackeln schon wenn sie warm werden, aber sie gehen nicht in die Luft über. Und wenn immer mehr Wassermoleküle abhauen, wird halt die Konzentration der gelösten Stoffe im verbleibenden Wasser höher. Wenn man es zu weit treibt, ist alles Wasser weg, und man hat nur noch ein Pulver übrig, das aus den gelösten Stoffen besteht.
Und deswegen kann man Wasser nicht einkochen, wie in dem Foto vorgeschlagen. Es wird nur weniger. Wenn man das mit Leitungswasser macht, erhöht sich die Konzentration der gelösten Substanzen, das Wasser wird also härter. Aber dass das gesund ist, wage ich zu bezweifeln.
Aber warte mal, wenn ich das Wasser so lange koche, dann füge ich doch Energie zu! Wenn ich das dann trinke, habe ich mehr Energie als vorher, ist doch super!
Stimmt, aber bei dieser Energie handelt es sich um Wärme. Sobald das Wasser kocht, hat es so viel Energie, wie es aufnehmen kann. Jede zusätzliche Energie schleudert nur Wassermoleküle in die Luft, wo die dann Luftmoleküle anschubsen. Ich heize also meine Küche. Am Energiegehalt des Wassers im Topf ändert sich nichts mehr.
Wenn ich das trinke, geht die Energie in der Tat auf meinen Körper über. Aber bei 100C heißem Wasser bedeutet das nur, dass ich mich teuflisch verbrenne. Ich muss das Wasser erst abkühlen lassen. Aber dann hätte ich es auch gar nicht erst so weit aufheizen brauchen.
Ob es physiologisch was ausrichtet, morgens heißes Wasser zu trinken, weiß ich nicht. Könnte es mir vorstellen. Wir mögen ja auch unseren Kaffee oder Tee lieber heiß als lauwarm. Vielleicht regt die Temperatur ja irgendwie die Verdauung an, oder den Blutdruck oder was weiß ich. Aber jedes Erhitzen über die Trinktemperatur hinaus ist im Fall von Wasser ein reines Ritual. Physikalisch oder chemisch ändert das im Wasser nix (das Geschwafel im Foto von wegen Moleküle ist Quatsch).
Ritual braucht natürlich nicht schlecht sein. Vielleicht sind die morgendlichen 15 Minuten Wasser kochen, abkühlen lassen und dann trinken eine tolle psychologische Hilfestellung, um in Schwung zu kommen. Aber das kann man auch haben, ohne total zu veraffen, was Wasser, Energie und Moleküle überhaupt sind. Im Gegenteil, je mehr man weiß, desto schöner wird die Welt. Auch Wasser kochen.
Unter diesem Post gab es auf Facebook viele Kommentare. Unter anderem den Hinweis, dass sich die “temporäre Wasserhärte” durch Erhitzen reduziert. Es entweicht nämlich CO2, dadurch werden manche Mineralien schlechter löslich und fallen aus. Dass das Wasser durchs Einkochen härter wird, wie ich geschrieben hatte, ist also nur bedingt richtig.
Zu meinem Glück würde jetzt nur noch eine allgemeinverständliche Berücksichtigung des Dampfdrucks fehlen – ansonsten bekommste nicht erklärt, wieso Wasser auf dem Mount Everest schon bei 85 Grad kocht…
Man muss halt irgendwo aufhören, wenn man kein ganzes Buch schreiben will. Aber stimmt schon, dass man das Konzept von Dampfdruck hier leicht anschließen könnte.