Fang Han aus Peking spricht über den Zusammenhang zwischen Narkolepsie und Schweinegrippe. Erinnert Ihr Euch? 2009 gab es eine weltweite Pandemie mit einem neuen Grippevirus, genannt Schweinegrippe. War eine H1N1 Variante (diese Buchstaben-Zahlen-Kombis sind ein System, um Grippestämme zu benennen). Zuerst sah es so aus, als wäre Schweinegrippe ganz schön gefährlich, deswegen wurden die Impfstoffhersteller beauftragt, so schnell wie möglich eine Impfung rauszuhauen und genug davon bereitzustellen. Regierungen haben sich damit eingedeckt und teilweise flächendeckende Impfungen angefangen. Ungefähr zur gleichen Zeit stellte sich dann raus, dass H1N1 doch nicht so gefährlich ist. Die üblichen Krakeeler haben schnell unterstellt, das wäre nur ein Plot der Pharmaindustrie, um mehr Impfstoffe zu verkloppen. Ist natürlich Quatsch. Die Gesundheitsorganisationen waren halt lieber zu vorsichtig als zu unvorsichtig, was bei einer Pandemie sicher die bessere Wahl ist.
Kurze Zeit später fiel finnischen Wissenschaftlern auf, dass die Fälle von Narkolepsie bei Kindern stark anstiegen. Narkolepsie ist eine Störung des Schlafverhaltens, verursacht durch Verlust ganz bestimmter Hirnzellen, der Hypocretin-Zellen (Frevler nennen sie auch Orexin-Zellen – da kann ich beizeiten mal erzählen, was es damit auf sich hat). Normalerweise tritt das so mit 20 Jahren auf. Weil es eine seltene Krankheit ist und nicht jeder Arzt die Symptome auf dem Schirm hat, wird die Diagnose oft erst Jahre später richtig gestellt. Bei Kindern tritt das nur selten auf. Und plötzlich sehen die Finnen einen 17-fachen Anstieg von Narkolepsie bei Kindern.
Die Wissenschaftler vermuteten, dass das was mit der H1N1 Impfung zu tun haben könnte. Sie schauten sich das genauer an und der Verdacht erhärtete sich. Ich habe gerüchteweise gehört, dass sie Probleme hatten, diese Arbeit zu veröffentlichen, weil die wissenschaftlichen Zeitschriften erst mal gedacht haben: „Oh nein, schon wieder so Impf-Spinner…“. Die Daten waren aber solide. Was?! Impfschaden?!
Sofort schauten Narkolepsiespezialisten in anderen Ländern auf ihre Daten. In USA wurde auch gegen H1N1 geimpft. Gab aber keinen Anstieg von Narkolepsie bei Kindern. Allerdings war der Impfstoff ein anderer.Richtig interessant wurde es dann, als die Chinesen berichteten, was bei ihnen so los war.
In China gab es ebenfalls einen sehr starken Anstieg von Narkolepsie bei Kindern. Schaut Euch die Grafik an, die ich vom Vortrag abfotografiert habe. Riesen Anstieg. Aber: In China hat sich kaum jemand gegen H1N1 impfen lassen! Von den plötzlich in den Schlaflaboren aufschlagenden Kindern mit Narkolepsie waren nur 6% geimpft. Impfschaden ohne Impfung?
Natürlich nicht. Die Ursache war H1N1 selbst. Die Schweinegrippe ist als Epidemie durch China gerast. Sie hat bei den chinesischen Kindern genau das gleiche ausgelöst, wie die Impfung gegen dieselbe Krankheit bei den finnischen. Die Erklärung ist, dass ein Teil des Virus für unser Immunsystem so aussieht wie ein Teil dieser speziellen Hirnzellen. Das Virus (oder die Impfung dagegen) macht das Immunsystem scharf gegen diesen Teil, was mit viel Pech dazu führt, dass es diese Zellen angreift. Aber warum hatte dann die Impfung in USA nicht den gleichen Effekt? Weil es ein anderer Impfstoff war. In dem war anscheinend nicht der Virusteil drin, der so aussieht wie die Zellen.
Um kurz auf die Bedeutung der Daten für die Impfdebatte einzugehen: Die Impfung hat kein Risiko geschaffen, dass nicht durch die Pandemie eh da war. Es wurde sogar bei norwegischen Kindern gefunden, dass die Kinder, die nicht nur geimpft wurden (fast jeder in Norwegen), sondern zusätzlich auch die Grippe bekommen haben (die Grippewelle kam angerauscht, als die Impfkampagne noch im Gange war, weil die Zeit zu knapp war), ein noch höheres Risiko für Narkolepsie hatten. Das deckt sich mit Ergebnissen aus einem Tierversuch. Immungeschwächte Mäuse wurden mit H1N1 infiziert. Viele von ihnen entwickelten Narkolepsie-ähnliche Symptome, die also direkt durch das Virus ausgelöst wurden. Die Impfung hat es also anscheinend nicht schlimmer gemacht, als es eh schon gekommen wäre. Außerdem zeigt der in USA benutzte Impfstoff, dass es möglich ist, die Grippe und das damit verbundene Narkolepsierisiko zu verhindern, ohne es selbst dabei auszulösen. Mit mehr Grundlagenforschung wird es möglich sein, solche Risiko-Bestandteile in Viren zu identifizieren und sie gezielt in Impfstoffen wegzulassen. Oder die Menschen zu identifizieren, die überhaupt ein Risiko haben, derart auf diese Bestandteile zu reagieren, so dass diese eben keine derartige Impfung bekommen.
Das ist nämlich ein weiteres wichtiges Ergebnis dieser Forschung. Ein Großteil der Bevölkerung kriegt die Schweinegrippe, aber nur ein winziger Bruchteil kriegt Narkolepsie. Warum nicht alle? Groß angelegte Untersuchungen von Genvarianten (Allelen) in der Bevölkerung (sogenannte GWAS Studien) haben ergeben, dass man eine bestimmte Variante eines Gens braucht, das mit dem Immunsystem zu tun hat. In der chinesischen Bevölkerung war das HLA-DQB1*03:01, falls es jemand genau wissen will. Das ist für sich schon ein Risikofaktor für Narkolepsie. Normalerweise braucht man zwei Versionen davon, auf jedem Chromosom eins, damit man das Narkolepsierisiko erhöht. Im Schweinegrippejahr reichte es schon, wenn man es nur auf einem Chromosom hatte.
Bei Weißen findet man übrigens andere Allele (aber gleiche Klasse von Genen, nämlich HLA) als Risikofaktoren für Narkolepsie. Der sogenannte genetische Hintergrund beeinflusst das ganze nämlich. Den Einfluss des genetischen Hintergrunds sieht man auch daran, dass chinesische Narkoleptiker generell ein paar Jahre früher ihre ersten Symptome haben, als europäische.
Wenn man sich die chinesischen Daten genauer ansieht, erkennt man noch etwas. Bei 69% der narkoleptischen Kinder können die Eltern genau sagen, in welchem Monat die ersten Symptome aufgetreten sind. Wenn man sich das übers Jahr verteilt anguckt, sieht man ganz eindeutig, dass es eine regelmäßige Schwankung gibt. Das sieht man auf dem zweiten Foto, das ich gemacht habe. Die meisten Fälle treten im späten Frühling/frühen Sommer auf. Das korreliert mit den Schwankungen der Grippefälle. Es sieht so aus, als würde auch die normale Grippe (und andere Erkältungskrankheiten) das Risiko für Narkolepsie erhöhen (für Leute mit der genetischen Prädosposition). Unterstreicht weiter die Idee, dass es eine Autoimmunkrankheit ist, die durch eine Viruserkrankung getriggert werden kann.
Zu dieser Idee gab es auch am Montag brandneue Daten von Ulf Kallweit aus Bern. Er untersuchte 16 Narkolepsiepatienten und verglich sie mit gesunden Familienmitgliedern. Er konnte nachweisen, dass die Narkoleptiker bestimmte Immunzellen (CD4+) hatten, die auf Hypocretin reagierten. Das dürfte der letzte Link sein, um zu bestätigen, dass Narkolepsie wirklich eine Autoimmunkrankheit ist.
Eine aktuelle Studie aus Norwegen fand übrigens, dass H1N1 und die Impfung nicht nur mit Narkolepsie korrelieren, sondern auch mit Hypersomnie, also übermäßigem Schlafbedürfnis. Das ganze erinnert sehr an die Ergebnisse des berühmten Arztes von Economo. Der hat Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckt, dass die gefährliche spanische Grippe bei einigen Menschen bestimmte Schäden im Gehirn hinterlassen hatte. Die Betroffenen entwickelten sehr abgefahrene Schlafprobleme, z.B. dass sie die ganze Zeit nur noch schlafen wollten, oder nicht mehr richtig schlafen konnten. Er fand dann raus, dass das davon abhing, wo genau die Beschädigung war. Und hundert Jahre später finden wir, dass ganz ähnliche Effekte auch andere schlafbezogene Krankheiten auslösen können. So schließt sich der Kreis. What a time to be alive!
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