Dieses Interview mit Kollegah ist wohl schon ein paar Jahre alt und geht gerade neu aufbereitet durch die sozialen Medien. Falls jemand seine Punkte irgendwie überzeugend finden sollte, hier meine Antwort.
Der wichtigste Punkt ist, dass er seine Sicht religiös begründet. Das sagt er wie nebenbei zwischen lauter Argumenten, in denen es eigentlich darum gehen soll, wie wenig überzeugend er die Evolutionstheorie findet. Man sollte sich immer fragen, welche neuen Informationen einen theoretisch von seiner bisherigen Meinung abbringen könnten. Wenn es auch schon theoretisch keine gibt, braucht man gar nicht erst über das Thema nachzudenken oder diskutieren. Wenn das Ergebnis schon vor dem Nachdenken feststeht, ist es kein ehrliches Nachdenken.
Ich entkoppele gerne naturwissenschaftliche Fragen von religiösen Anschauungen. Die evangelische und katholische Kirche akzeptieren Evolution und sind dadurch nicht weniger fromm als vorher. Man muss also nicht aufhören, an Gott zu glauben, wenn einen die Evolutionstheorie überzeugt. Wie naturwissenschaftliche Beobachtungen in Einklang mit religiösen Anschauungen gebracht werden, ist Sache der Religion. Völlig unabhängig davon kann man sich überlegen, ob denn die Natur so aussieht, als gäbe es eine Evolution. Was das dann für die eigene Weltanschauung bedeutet, ist eine völlig unabhängige Frage. Es gibt meiner Meinung nach keinen Grund, warum man nicht erst mal unvoreingenommen und neugierig an wissenschaftliche Theorien herangehen sollte.
Kollege Kollegah argumentiert, dass in einem Sandsturm ja auch nicht zufällig die Sandkörner zu einem tollen Schloss zusammengewürfelt würden. Genauso unwahrscheinlich sei es dann ja auch, dass unbelebte Moleküle sich zufällig zu so was komplexem wie dem Menschen anordneten. Hierbei handelt es sich um ein Strohmannargument. Der Kollege greift einen Punkt an, der von der Evolutionstheorie gar nicht gemacht wird. Sie besagt nämlich keineswegs, dass Moleküle sich zufällig zu mega komplexen Strukturen zusammenlagern. Es herrschen nach der Evolutionstheorie die Kräfte der Selektion. Mutationen, also kleine Änderungen sind in der Tat zufällig. Die Selektion sorgt dafür, dass sie fixiert werden, wenn sie eine Verbesserung darstellen. So kann man schrittweise kleine Veränderungen erreichen, die dann insgesamt ziemlich schnell ziemlich komplex werden. Das Prinzip wird zb auch im Maschinenbau verwendet. Wenn ein Flugzeugflügel aerodynamischer werden soll, wird er im Computermodell in einem virtuellen Windtunnel getestet. Dann macht der Computer kleine, zufällige Änderungen. Wird der Flügel schlechter, wird die letzte Änderung verworfen. Wird der Flügel besser, wird die Änderung behalten und die nächste zufällige Änderung ausprobiert. So wird der Flügel immer aerodynamischer. Nicht durch reinen Zufall. Aber trotzdem war kein Planer nötig, der das Endprodukt schon vorausgesehen hat. Ein total beeindruckend aerodynamischer Flügel ist eben kein Beweis für ein Aerodynamik-Genie, das dahinter stecken muss. Ein auf kleinen Änderungen und konsequenter Selektion basierender Mechanismus kann das genauso gut. Bzw noch besser, sonst würden Ingenieure diese Algorithmen ja nicht benutzen.
Ein weiterer kollegiahler Punkt war “wenn ich lauter Fische an Land schmeiße, fangen die ja nicht plötzlich an zu laufen und zu atmen”. Das ist auch wieder ein Strohmannargument und macht eigentlich den gleichen Fehler wie das Argument mit dem Sandschloss. In der Evolution passieren immer nur kleine, schrittweise Veränderungen. Ein Fisch entwickelt nicht plötzlich eine Lunge. In einer Fischart gibt es viele verschiedene Exemplare. So wie es bei Menschen große, kleine, blonde, dunkle gibt. Wenn sich die Lebensbedingungen ändern (entweder weil die Umgebung anders wird, oder es einen Fisch woanders hin verschlägt), haben manche Fische mehr Glück als andere. Etwas, das vorher ganz egal war, macht auf einmal einen großen Unterschied. Nehmen wir zb an, Kollegah würde regelmäßig lauter Fische ans Ufer schmeißen. Wenn einige davon Besonderheiten hätten, die ihnen nur ein paar Sekunden mehr Zeit verschafften – zb schließen ihre Kiemendeckel besser, so dass die Kiemen nicht so schnell austrocknen – würde das ihre Chance erhöhen, zurück ins Wasser zu springen. Selbst wenn es die Überlebenswahrscheinlichkeit nur geringfügig erhöhen würde, würde das ziemlich schnell dafür sorgen, dass die Fische mit den weniger landtauglichen Kiememdeckeln einen immer kleineren Anteil an der Population hätten (angenommen, Kollegah würde fleißig weiter schmeißen und es gäbe insgesamt genug von diesen Fischen).
Theorien hinterfragen ist eine gute Sache. Das machen Wissenschaftler die ganze Zeit. Man sollte sich nur erstmal die Mühe machen zu verstehen, was eine Theorie überhaupt besagt, bevor man sie ablehnt.