Open access publishing. Was ist das? Ist es jetzt gut oder schlecht? Habe gestern kurz mit Thorsten darüber gesprochen und dachte, das haben sich bestimmt schon mehr von euch gefragt.
Wenn ein Wissenschaftler (männlich oder weiblich) seine Ergebnisse hat und der Welt mitteilen möchte, fasst er sie in einem Aufsatz zusammen, einem Paper. Das reicht er bei einer wissenschaftlichen Zeitschrift ein, einem Journal. Damit da kein Quatsch veröffentlicht wird, wird die Arbeit erst mal begutachtet. Und zwar von anderen Wissenschaftlern, nicht von Mitarbeitern des Journals. Der Gedanke: Wer könnte eine wissenschaftliche Arbeit besser beurteilen als andere aktive Wissenschaftler aus dem selben Forschungsfeld? Diese Form der Begutachtung nennt sich peer review. Je nach dem, wie gut die peer reviewer die Arbeit finden, entscheidet sich das journal, sie zu veröffentlichen.
Es gibt viele verschiedene Journals zu allen möglichen Themen. Die sind unterschiedlich angesehen. Das Grundprinzip: wenn ich nur ein kleines Puzzlestück herausgefunden habe, interessiert das nur Forscher aus meinem Feld. Dann kommt es in ein Journal, das sehr spezialisiert ist, zb nur von Schlafforschern gelesen wird und dementsprechend wenige Leser hat. Wenn ich ein ganz neues biologisches Prinzip entdeckt habe, interessiert das auch alle anderen Biologen, vielleicht sogar Physiker und Chemiker. Dann kommt das in ein Journal, das von denen allen gelesen wird und dementsprechend viele Leser hat.
Das ist wie bei Zeitungen. Wer neuer Bundespräsident wird, steht in den großen, landesweit verkauften Zeitungen. Wer Schützenkönig in Köln-Porz wird, steht nur im Lokalblatt.
Nebeneffekt: Wenn ein freier Journalist dir sagt, dass seine Artikel regelmäßig in der FAZ oder Süddeutschen kommen, kannst du davon ausgehen, dass er recht erfolgreich ist und gute Artikel schreibt. Wenn er dir sagt, dass er bis jetzt nur im Köln-Porzer Lokalblatt veröffentlicht hat, nicht so sehr. Ganz ohne je einen Artikel von ihm gelesen zu haben. Ist nicht ganz fair aber durchaus eine begründete Annahme. So ist das bei Wissenschaftlern auch. Deswegen versucht jeder, seine Paper in möglichst großen Journals unterzubringen.
Natürlich muss jede Unibibliothek diese Journals abonnieren. Schließlich müssen die Wissenschaftler lesen können, was es für neue Ergebnisse gibt. Diese Journals kosten aber Geld. Alleine schon durch die kleinen Auflagen sind sie sehr teuer. Außerdem sind es marktwirtschaftliche Unternehmen, die ihr Produkt möglichst gewinnbringend verkaufen wollen. Da sind sie in der komfortablen Situation dass ihre Kunden diese Inhalte lesen MÜSSEN. Man kann sich vorstellen, dass sie dadurch nicht gerade billiger werden. Dadurch sind die großen Verlage heute ziemlich reiche Unternehmen.
Und hier schwillt den open access Verfechtern der Kamm. Die Artikel werden von Wissenschaftlern geschrieben, deren Gehalt vom Steuerzahler kommt. Die Begutachtung wird durch andere Wissenschaftler gemacht, deren Gehalt ebenfalls vom Steuerzahler kommt. Und jetzt muss die Uni nochmal aus Steuergeldern teure Abos kaufen, damit die Ergebnisse verfügbar sind? Und wenn der einzelne Bürger die Ergebnisse persönlich nachlesen will, kommt er nicht dran, weil die Artikel Unsummen kosten, die auch noch an einen privaten Konzern gehen? Obwohl er doch das alles bereits mit seinen Steuern finanziert hat? Kann doch wohl nicht sein!
Die Ergebnisse sollten frei im Netz verfügbar sein! Und das ist die Idee von open access. Aber wer trägt dann die verbleibenden Kosten des Journals wie Druck oder Layout, maintenance der Homepage und das Gehalt der notwendigen Mitarbeiter?
Im open access Modell trägt die der einreichende Autor. Jedes Paper kostet eine Gebühr. Tat es schon immer, bei open access ist die halt ein bisschen höher. Riesen Vorteil: Ab da sind alle Kosten bezahlt und die Ergebnisse für jeden frei verfügbar. Wenn man in einer Internetdiskussion uneinig ist, was die Studien sagen, kann jeder die Originalstudien tatsächlich persönlich lesen. Wenn ein Angehöriger eine Krankheit hat, kann jeder persönlich nachlesen, was der neueste Stand der Wissenschaft ist.
Open access ist also super. Aber warum wird es manchmal beschimpft, so als würden open access journals grundsätzlich schlechte Wissenschaft veröffentlichen und seien nicht glaubwürdig?
Open access setzt als Geschäftsmodell andere Anreize als das klassische System. Im klassischen Modell verdient das Journal am meisten, wenn es möglichst unverzichtbar ist, so dass sich möglichst viele Institute die teuren Abos holen. Deswegen müssen diese Journals unbedingt vermeiden, den Ruf zu bekommen, sie würden Quatsch veröffentlichen. Denn das senkt das Interesse beim Leser.
Im open access Modell verdient ein journal am meisten, wenn es möglichst viele Papers veröffentlicht. Denn bezahlen tun ja die Autoren. Ein schlechter Ruf ist für diese Journals auch schädlich, denn Wissenschaftler wollen ja in möglichst angesehenen Journals publizieren. Allerdings stehen Wissenschaftler auch unter dem Druck, möglichst viele Papers zu publizieren. Deswegen findet sich immer jemand, der sich freut, miserable Daten in einem miserablen Journal veröffentlichen zu können.
Manche open access Journals haben das zu ihrem Geschäftsmodell gemacht. Scheiß auf den Ruf, wir veröffentlichen alles was kommt.
Da müsste es eigentlich eine Grenze nach unten geben. Denn jedes dieser journals braucht peer reviews – eine Veröffentlichung ohne peer review zählt nichts im Lebenslauf (jetzt nicht gar nix, aber damit könnte man nicht so ein Geschäft aufziehen). Und wenn eine miserable Arbeit im peer review zu anderen Wissenschaftlern geschickt wird, müssten die doch die Arbeit ablehnen, oder?
In richtigen Spam-journals wird der Review Prozess getürkt. Sie behaupten einfach, dass es einen gäbe, akzeptieren aber jedes Paper, das der Autor bezahlt. Nennt sich “pay to publish”. Diese Journals nennt man “predatory journals”.
Von predatory journals bekommt jeder Wissenschaftler heutzutage regelmäßig Spam-Emails. “Veröffentlichen Sie Ihre tolle Forschung in unserem angesehenen Journal mit rigorosem peer review! Nur 1000 Kröten!”. Es gab den berühmten Fall, wo jemand ein Paper eingereicht hat mit dem Titel “get me off your fucking mailing list”. Der ganze Text des Papers bestand auch nur aus diesem Satz. Es gab auch zwei grandiose Abbildungen. Wenn ihr den Titel googelt, findet ihr das PDF im Netz. Lohnt sich
Der Knüller: kurz drauf kam die Antwort, dass die Gutachter von der Forschung sehr begeistert wären und das Paper akzeptiert sei. Nur noch die Gebühr wäre zu überweisen.
Solche Beispiele zeigen sehr deutlich, dass es in predatory journals keinerlei Qualitätskontrolle gibt. Peer review ist nur vorgetäuscht. Abgesehen von ihrem lausigen Inhalt sind sie aber kaum von ernstzunehmenden Journals zu unterscheiden.
Das ist eine ganz furchtbare Entwicklung für die Wissenschaft. Peer review war nie perfekt aber immerhin eine Hürde gegen bullshit. Jetzt kann sich bullshit spielend leicht als echte Wissenschaft tarnen.
Wenn jemand also herablassend über open access journals spricht, meint er eigentlich diese predatory journals. Es gibt aber sehr gute open access journals, und die Idee ist weiter absolut unterstützenswert. Wir müssen halt jetzt eine Möglichkeit finden, diesen Spam-journals das Handwerk zu legen und wieder eine einigermaßen funktionierende Hürde gegen bullshit einzurichten.