Ich wurde zu meiner Einschätzung dieser Schlagzeile gebeten. Also los.
Was wurde in der Studie gemacht?
Von über 40.000 Menschen wurde ermittelt, wie viel sie so schlafen. Dann hat man die Gruppe für 13 Jahre verfolgt und einfach erhoben, wer mittlerweile gestorben ist. Sowas wurde schon öfter gemacht. Wie in vorherigen Studien wurde auch hier gefunden, dass sowohl sehr kurzer als auch sehr langer Schlaf das Sterberisiko erhöht. Das Neue an dieser Studie: Die Forscher sahen sich an, ob die Probanden an Wochenenden in der Regel länger schlafen als Wochentags. War das der Fall, verschwand bei den Kurzschläfern das erhöhte Sterberisiko. Eine mögliche Interpretation: So lange man an Wochenenden Schlaf nachholt, kann man in der Woche ruhig Gas geben. Original hier: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/jsr.12712
Der Haken: Das ist nur eine von mehreren möglichen Erklärungen für diesen Datensatz. Solche Bevölkerungsstudien sind unglaublich wertvoll. Allerdings haben sie bestimmte Schwächen. Deswegen müssen solche Themen immer mit mehreren, völlig unterschiedlichen Methoden bearbeitet werden. Erst durch die Kombination aller Ergebnisse kommt man dem Sachverhalt auf die Schliche, weil die Methoden jeweils die Schwächen der anderen Methoden ausgleichen können.
Erstes Problem: Bei einer solchen Bevölkerungsstudie sehe ich nur Korrelationen, keine Ursachen. Erhöht kurzer Schlaf wirklich das Risiko zu sterben? Oder gibt es viele tödliche Krankheiten, die als eins von vielen Symptomen den Schlaf ruinieren? Die Korrelation sähe in beiden Fällen genau gleich aus, allerdings würde es in einem etwas nützen, absichtlich länger zu schlafen, im anderen nicht. Zweites Problem: Es könnte mehrere Effekte geben, die sich gegenseitig aufheben, so dass in so einer Studie verschwinden oder zu klein wirken. Es könnte zb sein, dass Menschen, die absichtlich sehr lange schlafen, damit etwas Gutes für ihre Gesundheit tun. Gleichzeitig könnte es Krankheiten oder Probleme geben, auf die der Körper mit sehr hohem Schlafbedürfnis reagiert, um schlimmeres zu verhindern. Früher sterben als Gesunde tun die dann trotzdem. In der Studie sieht es dann so aus, als wäre sehr langer Schlaf ungesund, obwohl er eigentlich gesund wäre.
Knifflig.
Um zu beantworten, ob ein entspanntes WE wirklich ausreicht, um die gesundheitlichen Folgen von einer ganzen Woche zu kurzem Schlaf abzufangen, bräuchten wir eine Möglichkeit, diese gesundheitlichen Folgen direkt und akut zu messen. Genau das fehlt aber leider. Wir können recht gut messen, ob unser Körper auf den Schlafmangel reagiert, und zwar mit erhöhtem Schlafbedürfnis, schlechterer Aufmerksamkeit, usw. Das ist aber nicht das gleiche. Wenn man annimmt, dass der Körper verlorenen Schlaf nur ein paar Tage lang überhaupt durch “nachholen” ausgleichen kann, dann würde man auch annehmen, dass länger zurückliegender Schlafverlust keine Auswirkung auf unser Schlafbedürfnis mehr hätte. Für alles, das länger her wäre, wäre es eh zu spät. Und wenn es keinen Sinn mehr hat, das nachzuholen, dann richtet die Evolution es auch nicht so ein, dass wir dann ein erhöhtes Schlafbedürfnis verspüren. Durch Messung des Schlafbedürfnisses könnte man also nicht feststellen, wie sehr man schon seiner Gesundheit geschadet hat. Über den Unterschied zwischen subjektivem Schlafbedürdnis und dem physiologischen Schlafbedarf unseres Körpers habe ich hier was erzählt. https://youtu.be/UtZx2d9uIAk
Ich erinnere mich an ein Poster auf einer Konferenz, wo jemand Biomarker für Herz-Kreislauf-Risiko gemessen hat. Die gehen bei Schlafmangel hoch. Er hat seine Probanden 5 Tage zu wenig schlafen und dann zwei Tage auspennen lassen. Sein Ergebnis war, dass ein WE nicht ausreicht, die Marker wieder zurück zum Anfangswert zu bringen. Ich habe leider nicht auf dem Schirm, ob das mittlerweile veröffentlicht ist.
Ein weiterer Grund, aus dem ich die Überschrift des Spiegel-Artikels nicht unterschreiben würde, ist die Forschung zum “social jetlag”. Jetlag ist schädlich, das ist recht gut gezeigt. Wenn meine innere Uhr auf “Spätaufsteher” steht, mein Job mich aber zum Frühaufsteher macht, lebe ich jede Woche in einem kleinen Jetlag. Wenn der Unterschied nicht zu groß ist, könnte ich mich anpassen und meine innere Uhr mit dem Job in Einklang bringen. Viele Menschen machen das aber nicht und bleiben weiter auf ihrer späten Uhr. Das sieht man daran, dass sie am WE später schlafen gehen und aufstehen als in der Woche. Und weil sie in der Woche erst spät müde werden und trotzdem früh aufstehen müssen, schlafen sie Mo-Fr zu wenig. Da gibt es einige Hinweise, dass das kein gesundes Verhalten ist, z.b
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/27530460
Der Ratschlag, den ich aus der Datenlage ziehe ist: Wenn du Schlaf nachholen kannst, hole Schlaf nach. Das ist gesund. Besser ist aber, gar nicht erst in ein Schlafdefizit zu kommen, schon gar nicht regelmäßig. Tägliches Schlafpensum ist wichtig, Schlaf/Wach im Einklang mit der inneren Uhr ist unabhängig davon auch wichtig.