Unter dem Hashtag #FuSchnüFa sammeln wir eine besondere Art verhunzter Artikel über Wissenschaft.
Vor einiger Zeit habe ich diesen Artikel geschrieben, in dem ich mich über schlechten Wissenschaftsjournalismus geärgert habe. Aus dem Studienergebnis “lokale Freisetzung von Schwefelwasserstoff direkt am Mitochondrium schützt die Zelle vor oxidativem Stress” war geworden “Furze schnüffeln hilft gegen Krebs”. https://larsunddiewelt.wordpress.com/2018/12/12/was-im-wissenschaftsjournalismus-schief-lauft/
Das ist nicht einfach eine Übertreibung der Ergebnisse. Übertreibung wäre z.B. wenn Wissenschaftler einen neuen Ansatzpunkt für ein mögliches Medikament finden und die Berichterstattung das so darstellt, als wäre das Heilmittel zum Greifen nahe.
Bei der Sache mit den Furzen wurde aber noch einer draufgesetzt. Es wurde eine Hypothese erfunden, die auf den Studienergebnissen aufbaut, aber selbst gar nicht getestet wurde. “Hey, wenn Schwefelwasserstoff gut für Mitochondrien ist, dann müsste es ja gesund sein, welchen einzuatmen”. Dann wird diese Hypothese nicht nur zum Artikel hinzugefügt, sondern so dargestellt als wäre ihre Bestätigung das eigentliche Ergebnis der Studie gewesen. Im Fall des Furze Schnüffelns ist die Hypothese so unplausibel, dass sie lächerlich ist. Dieser journalistische Fehler ist aber genauso irreführend und ärgerlich wenn die Hypothese plausibler ist. Unbelegte Hypothesen sind keine Ergebnisse. Wer das verwechselt, begeht die Furzeschnüffelfallacy. Stoppt #FuSchnüFa im Wissenschaftsjournalismus!
Diese Art der Berichterstattung schadet der Wissenschaft. Nicht nur werden Leser mit angeblichen Ergebnissen bombardiert, die sich allesamt als falsch herausstellen. Schlimmer noch, es wird ein völlig falsches Bild davon vermittelt, wie Wissenschaft überhaupt funktioniert. “Die Wissenschaftler” können immer nur herausgefunden haben, was sie auch getestet haben. Das sollte absolut selbstverständlich in jedem Artikel über ein wissenschaftliches Ergebnis sein. Was wurde gemacht? Was sagt uns das Ergebnis? Was sagt es (noch) nicht? Wenn Ihr über Wissenschaft berichtet, berichtet über Wissenschaft. Nicht über eure eigenen Fantasien.
Und bitte kommt mir nicht mit “aber dann ist es doch zu langweilig”. Wenn ich auf einen Artikel klicke, der mit “Wissenschaftler haben herausgefunden” anfängt, will ich verdammt noch mal wissen, was die Wissenschaftler herausgefunden haben! Wenn mir nach lustigen Texten ohne Wahrheitsgehalt ist, lese ich die Witzeseite.
Um das Bewusstsein für das #FuSchnüFa-Problem zu schärfen, haben einige Twitteruser jetzt begonnen, solche Artikel zu sammeln.
Wissenschaftler: Zuckerstoffwechsel in Lungenzellen scheint eine Rolle bei Entzündungsreaktionen zu spielen. Artikel: Zucker durch die Nase ziehen ist gut für die Lunge.
Wissenschaftler: "Immunzellen in den Lungen von Mäusen funktionieren bei Glukosemangel nicht ordentlich."
— Mike Beckers (@mimimibe) April 4, 2019
Medien: "Lungenkranke, zieht euch ne Line Kristallzucker!" pic.twitter.com/6cZzsv3qjm
Wissenschaftler: Im Vergleich verschiedener Affenarten zeigte sich, dass DIE ART entweder auf sichtbare Merkmale von Männlichkeit setzt (zb bestimmte Behaarung) oder auf große Hoden (viel Sperma). Artikel: Männer mit Bart haben kleine Eier. (Update, 30.4.19: Dieser Artikel hat mittlerweile Titel und Titelbild geändert. Vorher hieß er “Why men with beards and long hair have the smallest testicles” und zeigte einen Mann mit Herrendutt und Bart)
Das Stockbild in diesem Beitrag ist #FuSchnüFa https://t.co/8a7Cesndpz
— Pat Mächler (@Valio_ch) April 10, 2019
CC @dittrich_lars
Bei diesem hier hat der Journalist nicht einmal auf das Ergebnis gewartet, sondern schon eine #FuSchnüFa zum Versuchsaufbau hingelegt. Wissenschaftler: Wir markieren Weizen genetisch, um zu testen, inwieweit Genveränderungen in Wildpflanzen landen. Artikel: Wer den Weizen isst, verliert seine Abwehrkraft gegen Grippeviren.
Meine Lieblings-#FuSchnüFa ist übrigens:
— PDDrKatjaBaerenfaller (@jaggakatja) April 5, 2019
Scientist: für einen Auskreuzungsversuch haben wir Weizen mit dem 8 Aminosäuren-HA-Tag markiert, damit wir für Auskreuzung testen können
Blick: Wer den Weizen isst, verliert seine Abwehrkraft gegen Grippeviren. https://t.co/YfPzerOkok
Wissenschaftler: Wenn Ratten mit Bewegungsmangel Resviratrol gefüttert kriegen, bleiben sie fitter. Kriegen sie Resviratrol zusätzlich zum Laufrad, sind sie noch fitter als durchs Laufradtraining alleine. Artikel: Rotweinliebhaber können in puncto Bewegung getrost auch mal Fünfe gerade sein lassen.
Habt ihr die gute alte Meldung auf dem Schirm, dass 1 Glas Rotwein 1 Stunde Fitness ersetzt? https://t.co/OFBcNjyVeX
— Marco Körner (@inreaktion) April 13, 2019
Das zitierte Forschungsteam hat dazu sogar eine Stellungnahme herausgebracht: https://t.co/8jdK5B6cLn
DIE kam aber natürlich nicht in die Medien. #FuSchnüFa pic.twitter.com/ARp9VY8rWL
Sowieso sind Berichte über Ernährungsforschung ergiebige FuSchnüFaQuellen:
Nahezu alle "wissenschaftlichen Erkenntnisse" nach dem Muster "Lebensmittel XY ist gut für Z" funktonieren nach diesem Fürze-schnüffeln-gegen-Krebs-Prinzip. https://t.co/3ylgLpktg8
— Lars Fischer (@Fischblog) April 13, 2019
Es ist natürlich auch eine FuSchnüFa, wenn ein Ergebnis aus Zellkultur oder Tierversuch so dargestellt wird, als wäre es schon für Menschen bestätigt. Dass das so auch für (ganze) Menschen zutrifft, ist zwar eine begründete Hypothese, muss aber eben erst noch getestet werden. Es gibt einen Twitteraccount, der ausschließlich Berichte über Ergebnisse aus Mäusen postet, die so geschrieben sind, als wären sie aus Studien mit Menschen. Der einzige Text ist immer “IN MICE”
Ich habe einen interessanten Account gefunden, der eine ganz bestimmte Sorte #FuSchnüFa's sammelt: @justsaysinmice sammelt Artikel mit Diettipps, die auf Studien mit Mäusen basieren. pic.twitter.com/BRDwVV9tyx
— Fish&Almond (@Zirconos) April 14, 2019
Zählt das hier auch zu Ernährungswissenschaften? Angeblich haben Wissenschaftler herausgefunden, dass Cunnilingus den aktiven Partner vor Krebs schützt. Ich konnte die zugehörige Studie nicht auftreiben, aber ich bin mir recht sicher, dass es sich um eine FuSchnüFa handelt.
Hier was für @dittrich_lars s Projekt #FuSchnüFa:https://t.co/Igz4TydHh1
— Adora Belle (@_Adora_Belle_) April 15, 2019
Via: https://t.co/A4nlwSkGTT
Forscher verabreichen Mäusen große Mengen Spermidin mit der Nahrung. Das kommt ganz natürlich in vielen Nahrungsmitteln vor, nur halt nicht in den Mengen. Diese Mäuse lebten länger. Zusätzlich schauten die Forscher nach Ernährungsgewohnheiten und sahen, dass Spermidin in menschlicher Nahrung mit besserer Herzgesundheit korreliert. Follow-up Hypothese: vielleicht kann man mit entsprechender Ernährung oder Supplementierung das Risiko für Herzerkrankungen senken (zusätzlich zu bereits bekannten Faktoren gesunder Ernährung).
Schlagzeilen: Von “Käse ist gesund!” Bis “Sperma ist gesund!”, je nach Zielgruppe. Wie die Sache mit den gesunden Fürzen ist das hier ein evergreen. Paper kam 2016. Seitdem wird fleißig weiter von den falschen Schlagzeilen der FuSchnüFa-ierenden Kollegen abgeschrieben.
More to come. Wenn ihr weitere FuSchnüFas seht, teilt sie auf Twitter oder schickt sie mir.